Sonntag, 9. Mai 2010

Nathan der Weise

Nach „Emilia Galotti“ von Lessing war ich auf alles gefasst. Schon jenes Drama war schwer zu lesen, doch das Gefühl, dass man nach dem letzten Wort spürt, ist, als ob man einen steilen Berg bestiegen hätte. Im Gegensatz zu „Emilia Galotti“, wo der Gedankenschwall erst nach dem Lesen kam, war ich bei „Nathan der Weise“ durchgängig gefordert. Es war nicht einfach, der Art des Schreibstils zu folgen, aber wenn man den Rhythmus gefunden hatte, so konnte man tief in die Geschichte eintauchen und Lessings Gedanken nachvollziehen.

Sehr wichtig war für mich seine Haltung den einzelnen Personen, Religionen und Denkweisen gegenüber, da er über keine richtete. Das ein Mensch sich so etwas getraut zu schreiben und dass noch zu seiner Zeit, zeugt von grossem Respekt und Akzeptanz. Man merkt, dass Lessing seiner Zeit weit voraus war, auch in „Emilia Galotti“ thematisiert er Themen, worüber nicht sehr gerne gesprochen wurde, nämlich die Differenzen und Uneinigkeiten zwischen dem Adel und dem einfachen Volk.

Wo ich bei „Emilia Galotti“ Schwierigkeiten hatte, dem Handlungsstrang zu folgen, so fiel es mir bei „Nathan der Weise“ eher leicht, mir die verschiedenen Szenen vor dem geistigen Auge vorzustellen. Doch dass soll nicht heissen, dass mir es einfach gefallen ist, das Buch nicht nach den ersten zehn Seiten wegzulegen. Es fiel mir wieder einmal auf, wie sehr ich auf den narrativen Stil fixiert war, da ich eigentlich nur solche Bücher lese. Lessings Dramen sind jene Ausnahmen, die mir mein Denken auch in andere, ältere Weise erweitern. Oft lief ich, das Buch in der Hand, durchs Zimmer und las mir selbst laut vor, machte klägliche Versuche, die einzelnen Szenen nachzuspielen. Es machte Spass, auch wenn meine Fähigkeiten im Dramabereich an ihre Grenzen stiessen. Ohne das hätte ich das ganze Buch wohl nicht durchgehalten.

Noch ein Wort zum Inhalt: Jenes delikate Thema, das Lessing hier gewählt hat, ist allgegenwärtig, auch in unserer Zeit. Es zeigt, wie kleine Schritte wir zu Akzeptanz machen, denn auch heute sind jene Themen nicht ausdiskutiert. Solange wir jenes Problem nicht ganz bewältigt haben wird dieses Drama immer wichtig sein (kleine Anmerkung: Lessings Dramen werden auch heute noch aufgeführt und gerne besucht). „Emilia Galotti“ ist für mich nicht mehr so in unsere Zeit verhaftet, abgesehen davon, dass fast jederman gerne dramatische und traurige Geschichten mag.

Persönlich hat mir „Nathan der Weise“ sehr gut gefallen, viel besser als das sonst so hochgelobte „Emilia Galotti“. Es beinhaltet ein Thema, mit dem ich mich sehr auseinandersetzte und in dem ich Fragen zu finden vermeine. „Nathan der Weise“ hat mich – trotz den schwierigen Umständen der altertümlichen Sprache – dem ein bisschen näher gebracht.